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Unsere Vision ist es, mittels des Mediums des Tanzes ästhetisch und diskursiv etablierte Denkweisen, Machtverhältnisse sowie Körperbilder zu hinterfragen. Wir möchten unerforschtes Tanzvokabular entdecken und auf der Bühne sichtbar machen. Ein solches innovatives Ausloten des Tanzvokabulars in der Praxis geht allerdings Hand in Hand mit der Entwicklung neuer (theoretischer) Diskurse und damit: Worte. Diese sind stetigen Veränderungen unterworfen und stehen in komplexen Wechselwirkungen mit Diskursen in anderen Sprachräumen sowie mit Prozessen der Umdeutung und Aneignung von Zuschreibungen.

Workshops, Residenzen, offene Recherchephasen und Diskursveranstaltungen sind fester Bestandteil des künstlerischen Prozesses der FORWARD DANCE COMPANY. Diese Prozesse und Diskurse möchten wir hier auf der Webseite unter "Diskurs & Kontext" sichtbar machen und eine Plattform bieten, auf der zentrale Begriffe und Thematiken unseres Schaffens erläutert und reflektiert werden. Tanz ist nicht nur ein körperlicher Ausdruck, sondern immer auch eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und kulturellen Narrativen, die sich in Bewegung und Sprache manifestieren.

Wir möchten hier eine fundierte Orientierung für Interessierte schaffen. Es geht dabei um eine gezielte Auswahl an Begriffen und Diskursen, die stetig hinterfragt und weiterentwickelt werden.

Fragen & Antworten

Der westliche Theatertanz, also derjenige Tanz, der im sogenannten „Westen“ für die Aufführung vor einer Zuschauer*innenschaft kreiert wird, hat eine lange Tradition.1 Diese Tradition ist sowohl Grundlage und Bedingung für die Herausbildung ästhetischer Rollenbilder, als auch Ergebnis und Ausdruck von diesen. Die in dieser Tradition entstandenen Tanztechniken basieren auf eben diesen ästhetischen Vorstellungen, vermitteln und verfestigen diese als Normen für den Tanz. Mit anderen Worten: Die Techniken festigen die Normen – das gilt sowohl für das klassische Ballett als auch für weite Teile des modernen und zeitgenössischen Tanzes.

Die tänzerische Ausbildung, insbesondere in vielen professionellen Tanzausbildungen und Studiengängen auf BA-Ebene, besteht bis heute unter anderem aus der Vermittlung und Aneignung von Tanztechniken. Dies wird zum Teil mittels der stetigen Wiederholung gewisser körperlicher Positionen und aus der langjährigen Ausübung ähnlicher Bewegungsabfolgen. Die über Jahre – wenn nicht Jahrzehnte – praktizierten Routinen haben unter anderem das Ziel, die Körper der Tänzer*innen nach diesen konstruierten Normen zu formen, gleichzeitig eignen sich die Tänzer*innen das kanonisierte Tanzwissen an.

Die FORWARD DANCE COMPANY verortet sich in der Tradition des westlich-geprägten zeitgenössischen Tanzes. Zum Gründungsethos der Company gehört jedoch der Anspruch, nicht nur mit denjenigen Tänzer*innen zu arbeiten, die durch Tanzausbildungen im Sinne des westlichen Theatertanzes normierte Körper haben, also einen den tradierten Tanznormen angepassten Körper, sondern ebenso mit Tänzer*innen, deren Körper sich nicht nach diesen konstruierten Normen formen lassen können.

Aus diesem Grund sprechen wir in der FORWARD DANCE COMPANY von „unterschiedlichen Körperlichkeiten“, verstanden immer und ausschließlich in Bezug auf und im Kontext der Tradition des westlichen Theatertanzes. Der Ausdruck soll darauf hinweisen, dass unsere Tänzer*innen sowohl normatisierbare als auch nicht-normatisierbare Körperlichkeiten haben.2

Gustavo Fijalkow, Februar 20
 

1. Der westliche Theatertanz (engl. „concert dance“) umfasst in der Fachliteratur Tanzformen die sich aus den Tänzen, die in europäischen Höfen ab dem 16./17. Jahrhundert vor Publikum aufgeführt wurde, entwickelt haben. Diese Traditionen führen vom höfischen Theater über das bürgerliche Theater bis zum Ballett und prägen bis heute die Wahrnehmungen vom professionellen Tanz und bilden die Grundlage, gegen welche sich der moderne Tanz und viele zeitgenössische Tanzformen und -techniken entwickelt haben.

2. Weitere Informationen zu diesen Begriffen finden sich weiter unten.

BEGRIFFE A-Z

Verschiedene kulturelle wie auch fachliche und berufliche Kontexte nutzen unterschiedliche Begrifflichkeiten, die wiederum spezifisch konnotiert sind. Die Begriffe reichen von Behinderung und Inklusion über inspiration porn, able-ism, crip time, Teilhabe, Integration, disabled, mixed-able bis hin zu mixed-abilities – um einige wenige zu nennen. Die folgende Zusammenstellung hegt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll vielmehr einen kurzen Überblick über eine Auswahl an Begriffen und Konzepten bieten, die im Kontext unserer Arbeit relevant sind. 

Kommt aus dem Englischen und bedeutet: unterschiedliche-Fähigkeiten bzw. unterschiedlich-fähig. Es handelt sich dabei um einen Neologismus, der vor allem im deutschen Sprachraum für (Theater-)Tanz benutzt wird, an dem Tänzer*innen mit unterschiedlichen Körperlichkeiten bzw. mit und ohne Behinderung(en) teilnehmen. Also sowohl Tänzer*innen, die den herrschenden Normen im Tanz entsprechen, als auch diejenigen, die davon abweichen. Die Abweichung kann sich dabei auf unterschiedliche oft unter 'Behinderung' subsumierten Konditionen, wie nicht-normatisierbare Körperlichkeiten, visuelle, auditive oder kognitive Herausforderungen, Neurodiversität, etc. beziehen.

Es gibt unterschiedliche Modelle von Behinderung(en), in denen das Phänomen ‚Behinderung‘ unterschiedlich kontextualisiert wird. Im sozialen Modell wird – im Gegensatz zum medizinischen Modell – der Blick nicht auf die individuellen Eigenschaften und möglichen körperlichen Beeinträchtigungen einer Person gerichtet, sondern auf die Gesellschaft. Diesem Modell zufolge entsteht Behinderung dadurch, wie die Gesellschaft organisiert und strukturiert ist – materiell, institutionell, und sozial. Diese spezifische Organisation und Struktur verhindert die gesellschaftliche Teilhabe mancher Menschen und Personengruppen. Damit richtet sich der Blick weg von dem Individuum – der ‚beeinträchtigen‘ Person – hin zu den gesellschaftlichen Institutionen, Praktiken – und so die Individuen erst ‚behindern‘. Das soziale Modell von Behinderung transportiert den impliziten Appell: Die Gesellschaft muss auf eine Art und Weise organisiert werden, die möglichst inklusiv ist und vorhandene Barrieren stetig abbaut.

Der Begriff des Körpers bezieht sich auf den sinnlich erfassbaren und objektiv messbaren Menschen, auf die Gesamtheit seiner Körperteile. Der Begriff der Körperlichkeit hingegen beinhaltet darüber hinaus, zum Beispiel, die zum Körper gehörende Bewegungsfähigkeit und -sprache. 

Normatisierbar bzw. nicht-normatisierbar sind Begriffe, die sich auf die Geschichte des westlichen Bühnentanzes beziehen. 

Parallel zur Entstehung des Bühnentanzes hat sich die Ausbildung der Tänzerschaft entwickelt. Diese Ausbildung ist sowohl ein Ergebnis wie auch ein Hauptfaktor für die Konstruktion von (Tanz)ästhetischen Vorbilder. 

Das Erlernen traditioneller Tanztechniken basiert auf der täglichen Wiederholung von Übungen, die den Körper auf die Ausführung des daraus entstehenden Tanzvokabulars vorbereiten. Gleichzeitig formt dieser Prozess den Körper nach spezifischen Normen, die bestimmten Qualitäts- und Schönheitsidealen entsprechen – der Körper wird so "normatisiert". 

Allerdings gibt es Tänzer*innen mit Körperlichkeiten, die diesem Normatisierungsprozess inhärent widerstehen. Diese Körper haben – im Sinne des westlichen Theatertanzes – nicht-normatisierbare Körperlichkeiten. 

BIBLIOGRAFIE

Hier findet ihr ausgewählte Referenzen zum Thema ‚Tanz‘ und ‚unterschiedliche Körperlichkeiten‘ aus (tanz)historischer, soziologischer und philosophischer Perspektive. Dies stellt nur eine kleine Auswahl da, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

• Albright, A. C. (1997) Choreographing Difference. The Body and Identity in Contemporary Dance Wesleyan University Press, USA

• Anderson, B. (2006 [1983]) Imagined Communities London: Verso

• Burt, R. (1998) Alien Bodies. Representations of modernity, ‘race’ and nation in early modern dance Oxon: Routledge

• Davida, Dena (2012) Fields in Motion. Ethnography in the Worlds of Dance Canada: Wilfrid Laurier University Press

• Foster, R. (1991) [online] ‘Making National Cultures in the Global Ecumene’ Annual Review of Anthropology, 20, 235-260 HIER

• Hartmann, H. (2011) Der Volkskörper bei der Musterung. Militärstatisktik und Demographie in Europa vor dem Ersten Weltkrieg [The Body of the People at the Medical Examination. Military Statistics and Demography in Europe before the First World War] Göttingen: Wallstein Verlag

• Kant, L. (1999) Tanz unter dem Hakenkreuz: Eine Dokumentation Berlin: Henschel Verlag

• Lee, S. and Byrne, T. (2011) ‘Politicizing Dance: Cultural Policy Discourses in the UK and Germany’. in Dance and Politics ed. by Kolb, A. Bern: Peter Lang AG, International Academic Publishers

• Martin, R. (1998) Critical Moves. Dance Studies in Theory and Politics Duke University Press, UK

• Njaradi, D. (2014a) ‘From Employment to Projects: Work and Life in Contemporary Dance World’. in Text and Performance Quarterly, 34:3, 251-266 HIER

• Njaradi, D. (2014b) Backstage Economies: Labour and masculinity in Contemporary European Dance Chester: Chester University Press

• Reed, S. (2010) Dance and the Nation. Performance, Ritual and Politics in Sri Lanka Madison: The University of Wisconsin Press

• Sörgel, S. (2015) Dance and the Body in Western Theatre. 1948 to the present London: Palgrave

• Wong, Z. (2009) “Artistic Utopias: Michio Ito and the Trope of the International” in Worlding Dance Foster, S. (ed.) Basingstoke: Palgrave Macmillan